Risikofreie Zinsen?
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Die Ankündigung der Investitionspläne der voraussichtlichen schwarz-roten Regierungskoalition hat zum stärksten Renditeanstieg deutscher Staatsanleihen seit der Wiedervereinigung geführt. Der Renditeanstieg stellt eine natürliche Marktreaktion dar, denn die Staatsverschuldung und das Angebot deutscher Staatsanleihen werden erheblich steigen. Mit den Fiskalpaketen wird der seit der Corona-Pandemie vorherrschende globale Trend fortgeführt: Staaten verschulden sich zunehmend und dem Privatsektor wird im Gegenzug die Möglichkeit für höhere Profite und zur Entschuldung gegeben. Diese Entwicklung dürfte mittelfristig Fragen aufwerfen: Sind (deutsche) Staatsanleiherenditen noch risikolose Zinsen? Führt die fremdfinanzierte Fiskalpolitik zu Gunsten des Privatsektors nicht langfristig zu strukturell niedrigeren Kreditrisikoprämien, als wir aus der Vergangenheit gewohnt sind?
Wie risikoreich sind Staatsanleihen?
Grundsätzlich sind Staaten, verglichen zu anderen Kreditnehmern, tendenziell risikoärmere Schuldner. Aus fundamentaler Sicht sind die Staatsapparate großer Länder mit entwickelten Märkten und funktionierenden Rechtssystemen – insbesondere in Bezug auf ihre Steuereinnahmeseite sowie ihre Fähigkeiten im Bereich ‚Soft-‘ und ‚Hard-Power‘ – deutlich widerstandsfähiger gegenüber Disruptionen als selbst erstklassig bewertete Unternehmen wie Johnson & Johnson oder Microsoft.
In der deutschen Diskussion wurde zuletzt argumentiert, dass eine Neuverschuldung von bis zu zwei Billionen Euro verkraftbar sei. Für unsere Perspektive entscheidender sind jedoch andere Faktoren: Es bedarf ausreichender Marktliquidität, um als tatsächlich risikoloses Asset mit funktionierender Preisfindung zu gelten – ein Merkmal, das primär den großen Staatsanleihenmärkten vorbehalten ist. Mit gewissen Einschränkungen trifft dies auch auf die großen Mega-Caps zu, wobei letztere zuletzt eine erhöhte Volatilität aufwiesen. Hinzu kommt die regulatorisch bevorzugte Behandlung von Staatsanleihen bei der Risikogewichtung in den Bilanzen von Banken und Versicherungen. Auch wenn es – rein philosophisch betrachtet – selbst bei Staatsanleihen keine absolute Risikolosigkeit geben kann, bleiben die großen Staatsanleihenmärkte dennoch der Ort, an dem minimales Risiko mit der erforderlichen Marktgröße zusammenfinden.
Gibt es ausreichend Nachfrage für eine höhere deutsche Staatsverschuldung zu finanzierbaren Zinsen?
Unabhängig davon, ob einzelne Anleger deutsche Staatsanleihen als risikolos, ausreichend risikoarm oder sogar zu riskant einstufen, hat der Markt mit einer verständlichen Reaktion in Form höherer Renditen reagiert. Die zukünftige Zinslast dürfte also steigen. Ist Deutschland in der Lage, diese neuen Schulden zu akzeptablen Konditionen aufzunehmen? Angesichts der ungebrochenen und großen Nachfrage nach Neuemissionen gibt es zumindest positive Anzeichen dafür. Zuletzt war eine fünf Mrd. Euro große Aufstockung einer bestehenden EU-Anleihe mit 29,7 Jahren Restlaufzeit bei einem Orderbuch von 115 Mrd. Euro 23-fach überzeichnet. Anleger hatten also rund 110 Mrd. Euro mehr nachgefragt, als es zu kaufen gab.
Ein bislang ungenutztes Nachfragepotenzial liegt in der deutschen betrieblichen Altersvorsorge. Alleine die DAX 40- Unternehmen haben geschätzte 50 bis 60 Mrd. Euro ungedeckte Pensionsverpflichtungen. Verpflichtungen, die weit in der Zukunft liegen und eine hohe Duration haben, können gut durch langlaufende Anleihen gedeckt werden. Mit den wieder höheren Zinsen und der Aussicht, dass auch zukünftige Empfänger von Betriebsrenten von den Investitionsplänen profitieren, eröffnet sich nun die Chance, diese Lücke zu schließen.
Dazu kommt, dass wir in den letzten Monaten zwar eine Versteilerung der deutschen Renditestrukturkurve gesehen haben, ab einer Laufzeit von 15 Jahren verläuft die Kurve aber nahezu flach – was bedeutet, dass es keine nennenswert höheren Renditen für 30-jährige gegenüber 15-jährigen Bundesanleihen gibt. Das ist ein weiterer Indikator dafür, dass es eine ungebrochene und starke Nachfrage nach langlaufenden Anleihen gibt, die nun womöglich endlich auf ein Angebot trifft.
Das Argument für niedrigere Kreditrisikoprämien
Wenn bisher als risikolos geltende Staatsanleihen aufgrund einer höheren Verschuldung als riskanter eingestuft werden und sich zeitgleich der Privatsektor nicht weiter verschuldet – oder sich sogar entschuldet wie während der Coronapandemie – spricht einiges für strukturell niedrigere Kreditrisikoprämien von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen.
Trotzdem sehen wir die historisch niedrigen Risikoaufschläge für BBB- gegenüber A-gerateten Unternehmensanleihen weiterhin kritisch. Selbst, wenn die aggregierte Kreditrisikoprämie infolge höherer Staatsschulden strukturell niedriger liegen sollte als in der Vergangenheit, halten wir den sehr niedrigen Aufschlag für BBB-geratete Anleihen für nicht gerechtfertigt. Denn die Emittenten dieser Anleihen oder die Anleihen selbst sind im Durchschnitt riskanter – sei es aufgrund einer höheren Verschuldung, geringerer Umsatzvolumina oder Profitabilität, eines unzureichend diversifizierten Geschäftsmodells, einer ausgeprägten Zyklik oder einer nachrangigen Stellung in der Kapitalstruktur.