Seminar „Campus Visually Impaired“ – Auslandsstudium für sehbehinderte Studierende
Mit einer Sehbehinderung im Ausland studieren – geht das? Diese Frage stellen sich viele Blinde und Sehbeeinträchtigte. Das Seminar „Campus Visually Impaired – Studying in Europe without borders“, das vom 15. bis 19. August 2018 in Frankfurt stattfand, beschäftigte sich mit genau dieser Frage. Das Besondere: Es wurde von vier Akademikern organisiert, die selbst blind oder sehbeeinträchtigt sind, aber dennoch im Ausland studiert haben. Teilnehmer des Seminars waren blinde und sehbehinderte Studierende aus neun europäischen Ländern. Ziel war es, die internationale Vernetzung und Mobilität von sehbehinderten Studierenden zu fördern. Die Albert und Barbara von Metzler-Stiftung unterstützte die Veranstaltung finanziell.
Einer der Organisatoren des Seminars war Marian Frisch, der seit seinem berufsbegleitenden Studium an der Frankfurt School of Finance & Management bei Metzler arbeitet. Aufgrund eines okulären Albinismus hat er eine Sehstärke von nur 10 %. Im Interview erzählt er von seinen Beweggründen, das Seminar zu veranstalten, und von seinen eigenen Erfahrungen im Ausland.
Herr Frisch, warum ist es wichtig, dass Sehbehinderte und Blinde ins Ausland gehen?
Unsere Welt wird immer internationaler. Erfahrungen im Ausland sind daher für jeden wichtig. Bisher nutzen aber nur sehr wenige Sehbehinderte die Möglichkeit, eine Zeitlang im Ausland zu studieren. Viele wissen einfach nicht, dass das mit einer Sehbehinderung möglich ist, und viele fühlen sich zu unsicher. Ein Auslandsaufenthalt stärkt aber das Selbstbewusstsein und macht eine internationale Vernetzung möglich. Mit „Campus Visually Impaired“ wollten wir einerseits sehbehinderten Studierenden zeigen, dass ein längerer Aufenthalt im Ausland möglich ist, und ihnen andererseits ihre Zweifel und Unsicherheiten nehmen.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst im Auslandsstudium gemacht?
Während meines Studiums war ich mehrmals im Ausland. Zuerst ging es für sechs Wochen an die Summer School der University of Pennsylvania in den USA. Danach habe ich im „Visiting Undergraduate Program“ ein Auslandssemester an der Harvard University absolviert. Schließlich stand noch ein sechswöchiges Auslandspraktikum auf der Agenda; da war ich in London bei der US-Investmentbank Sanford C. Bernstein. Alle drei Auslandsstationen habe ich komplett alleine organisiert: bewerben, Visum beantragen, Unterkunft organisieren etc. Und natürlich musste ich auch mit den Universitäten klären, welche technische Unterstützung ich brauche – ich bekam sogar spezielle Prüfungsbedingungen. Bei alldem ist ein offener Umgang mit der eigenen Einschränkung sehr wichtig, denn die Ansprechpartner können nicht wissen, was einem schwerfällt oder welche Unterstützung wobei gebraucht wird. Meine Erfahrungen waren durchweg positiv, und ich hatte jedes Mal eine tolle Zeit. Und das war dann auch meine Motivation, das Seminar zu starten: Ich wollte auch anderen Sehgeschädigten diese Erfahrungen ermöglichen.
Aus welchen Ländern kamen die Teilnehmer?
Die Teilnehmer kamen aus neun Ländern – für uns ein Zeichen, ein wichtiges Thema angesprochen zu haben. Außer aus Deutschland sind Studierende aus Belgien, Tschechien, Italien, Spanien, den Niederlanden, Serbien, Großbritannien und Polen angereist. Damit fand also schon das Seminar in einer internationalen Atmosphäre statt und trug zur Vernetzung bei.
Wie lief das Seminar ab?
Wir haben uns um eine bunte Mischung bemüht – also nicht nur Input von den Referenten, sondern auch Diskussionsrunden unter den Teilnehmern. Und natürlich haben auch diejenigen im Orga-Team, die schon im Ausland waren, ihre Erfahrungen weitergegeben. Zum Ende des Seminars wollten wir den Blick der Teilnehmer auch in eine europäische Richtung lenken. Dazu haben wir eine Podiumsdiskussion zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen einer Inklusion im europäischen Kontext“ organisiert. Eingeladen waren Referenten aus europäischen Organisationen wie dem „European Disability Forum“. Zur Auflockerung haben wir abends gemeinsam etwas unternommen, zum Beispiel eine barrierefreie Führung durch Frankfurt oder einen Blindenfußball-Workshop.
Was haben die Teilnehmer gelernt?
Zu dem Seminar waren verschiedene Referenten eingeladen. Mit „European Blind Union“ und „Views International“ haben sich zwei wichtige Institutionen der europäischen Blindenselbsthilfe präsentiert. Außerdem wurden technische Hilfsmittel vorgestellt, die beim Studieren helfen, zum Beispiel Braille-Notizgeräte oder intelligente Kamerasysteme. Eine Referentin vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) informierte die Teilnehmer über verschiedene Regelungen rund um das Thema Auslandsaufenthalt mit Sehbeeinträchtigung, denn viele sehbehinderte Studierende kennen diese Regeln gar nicht. Am wichtigsten war aber, dass die Teilnehmer sich untereinander austauschen konnten. Viele würden nämlich gerne zum Studieren ins Ausland gehen und fanden die Tipps und Erfahrungen anderer Studenten sehr hilfreich.
Wie kam das Seminar bei den Teilnehmern an?
Wir haben durchweg gutes Feedback bekommen. Die Teilnehmer waren sehr engagiert und haben kräftig diskutiert. Viele waren vorher noch unentschlossen, ob sie im Ausland studieren sollten oder nicht – ihnen hat das Seminar viele ihrer Ängste genommen. Andere haben überhaupt erst durch das Seminar gemerkt, dass es möglich ist, mit einer Sehbehinderung im Ausland zu studieren, und dass sich die Hürden nehmen lassen. Es gibt sogar Überlegungen, die Veranstaltung in einem anderen Land zu wiederholen.