Naturforschung zum Anfassen
Die Metzler-Stiftung fördert seit drei Jahren die innovative Museumspädagogik am Senckenberg. Hier gibt es immer viel zu entdecken, beispielsweise "Warum der Biber rote Zähne hat".
Frankfurter Rundschau | 28. AUGUST 2023
Warum der Biber rote Zähne hat
Diese und andere ganz erstaunliche Erkenntnisse gibt es in der „Aha?!-Forschungswerkstatt“ im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt zu ertasten und erforschen.
Von Thomas Stillbauer (Text) und Rolf Oeser (Fotos)
Bei den Siebenschläfern ist was los. Sie sollten jetzt eigentlich wirklich Schläfer sein, also hundemüde Bilche, die Mama und ihr entzückender Nachwuchs, denn wir schauen ihnen am Tag zu, und Siebenschläfer sind nachtaktiv. Eigentlich. Aber irgendeiner von der erst Anfang August geborenen Rasselbande muss immer herumwuseln und die Nachtruhe stören. Beziehungsweise die Tagruhe.
Wir sind in der 2022 eröffneten „Aha!? Forschungswerkstatt“ des Senckenberg-Naturmuseums und stehen gebannt vor einem Bildschirm. Er überträgt live in Zusammenarbeit mit dem Nabu einen Blick in die Wohnung der Siebenschläfer. Frau Mama will endlich, endlich schlafen, aber es kehrt einfach keine Ruhe ein. Gehen wir mal lieber weiter. Vielleicht hilft das ja.
Die „Aha!? Forschungswerkstatt“ ist eine besondere Abteilung des Museums – eine, in der man selbst forschen und fast alles anfassen darf. Sogar Sachen, die 100 Millionen Jahre alt sind. Doch, wirklich. Versteinerte Lebewesen aus einer Zeit, in der noch Dinosaurier lebten. Aber man kann nicht nur Ausgestorbenes tätscheln, man kann auch live mit Forscherinnen und Forschern sprechen. Im März etwa, als die chilenische Stachelschnecke Concholepas concholepas zum „Internationalen Weichtier des Jahres 2023“ gewählt wurde (wir gratulieren nachträglich) und eine Entschlüsselung ihres Genoms gewann, stellte die Aha-Werkstatt die Molluske vor und schaltete einen Forscher live aus den USA dazu.
Es gibt hier Kontakt mit echter Wissenschaft, das Konzept geht total gut auf,
sagt Eva Roßmanith, Leiterin der Abteilung Bildung und Vermittlung, die das Projekt betreut. Wir werfen schnell noch einen Blick zu den Siebenschläfern – die Mutter guckt entnervt ins Leere, während wieder eines ihrer Jungen nach der Milchtankstelle gräbt. „Es fing an mit kleinen, nackten Würmchen“, sagt Roßmanith, das Publikum konnte ihnen beim Wachsen zusehen. Dass sie die Mama nicht schlafen lassen, wer will es ihnen verdenken. Sie wissen noch gar nicht, dass sie nachtaktiv sein sollen.
Wenn die Kleinen in einigen Wochen soweit sind, dass sie raus können aus der Nisthöhle, schaltet die Livekamera wieder zu einer Wasserstelle in Namibia, dann irgendwann wieder zu den Weiß- und den Schwarzstörchen, dann wieder zu den Fischadlern, immer imWechsel. Natur in Echtzeit.
Derweil lassen sich in der Senckenberg-Abteilung diverse Schädel betrachten und auch berühren – Haifischzähne! Wie scharf die sind! Und sie wachsen nach. Die vom Biber übrigens auch. Aber warum sind seine Nagezähne vorne rot? (Wer demnächst in die Forschungswerkstatt geht, jetzt kurz weglesen.) Die sind rot, weil der Biber Eisen in der Vorderseite seiner Zähne einlagert, berichtet Eva Roßmanith. „Er braucht ja sehr starke Zähne – er will damit Bäume fällen.“ Die Zähne wachsen von hinten nach.
Tolles Modell der Natur – wieso nicht auch beständig nachwachsende Zähne beim Menschen? „Man muss mit solchen Zähnen dauernd sehr harte Sachen essen, sonst nutzen sie sich nicht ab und wachsen immer weiter.“ Das wäre natürlich unangenehm. Zumal manche Menschen im Zweifelsfall harte Sachen lieber trinken. Der Biberlogik zufolge hat der Säbelzahntiger, dessen Kopf ebenfalls Teil der Ausstellung ist, zu wenige sehr harte Sachen verzehrt. Seine Zähne sind ja gewachsen wie verrückt. Oder? Nein. Er brauchte seine Zähne zum Jagen. War aber auf Dauer auch kein Erfolgsmodell.
Wer mag, kann sich einer Herausforderung stellen: vier verschiedenen Tieren das richtige Fell und den richtigen Fußabdruck zuordnen. Na, wer traut sich? Madita (5) traut sich. Respekt. Sie erkennt schon mal auf Anhieb fast alle vier Tierarten (Dachs ist aber auch schwierig) und kann die Fußabdruckformen besser entschlüsseln als beispielsweise ein FR-Reporter. Dazu zählt Madita, schlau, wie sie ist, die Zehen der Tierfüße. „Und genau so machen es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch“, sagt Eva Roßmanith. Nur eine Frage der Zeit also, bis wir Madita als Forscherin wiedertreffen.
Erstaunlich, wie weich ein Fuchsfell im Vergleich mit einem Dachsfell ist. Verblüffend, wie dick ein Wildschwein-Winterfell im Vergleich mit einem Wildschwein-Sommerfell ist. In der Aha Werkstatt kann man’s fühlen. Oder mal ganz nahe rangehen. Werkstatt-Koordinator Dustin Gohlke hat gerade ein winzig kleines Anschauungsobjekt unters Binokular geschoben (manche Leute würden spontan Mikroskop dazu sagen, was falsch wäre, erklärt Eva Roßmanith, man darf aber trotzdem ausnahmsweise auch Mikroskop sagen) und hat vorher gefragt, wie man es mit bloßem Auge nennen würde.
Hm, was mag es sein, wie will man’s nennen ... Sand? „Dann schauen Sie mal durchs Binokular!“ Aha! Kristalline Strukturen. „Überreste von einzelligen Lebewesen“, sagt Gohlke. „Die würden im Meersand gar nicht auffallen.“ Aber den Forscherinnen und Forschern bei enormer Vergrößerung schon. Und so werden alle in der Aha-Forschungswerkstatt zu Fachleuten der Natur – jedenfalls ein bisschen.